Woche 4: Willy Astor, Donnersberger Brück‘n

Heute in der Bavarian Edition: Urlaub im heilklimatischen Luftkurort. Kurze Historie einer modernen Verkehrsanlage. Ein Lied für einen Sportverein.

Wenn jetzt Winter wäre, wären wir im Skiurlaub. Aber, um es mit den Worten des großen Dichters Lothar Matthäus zu sagen: „Wäre, wäre, Fahrradkette“ – es ist zwar Januar, aber nicht Winter und wir sind nicht im Skiurlaub. Einerseits, weil ich die Ski-Gegner nicht gleich zu Anfang eines Jahres und Textes gegen einen Podcast aufbringen möchte. Andererseits, weil klimatische Veränderungen schon seit mehreren Jahren das Skifahren verunmöglichen. Entweder es ist gar kein Schnee da oder es ist so viel, dass die Bundeswehr und das Technische Hilfswerk die Dächer, die unter der Last des Schnees zusammenzubrechen drohen, freischaufeln müssen. Urlaub kann man trotzdem machen, in einem heilklimatischen Luftkurort in den oberbayrischen Alpen. Das klingt ein bisschen nach Tourismuswerbung für das fortgeschrittene Alterssegment, aber zum einen sind wir nicht mehr die Jüngsten und zum anderen stimmt das ja gar nicht. Das Bergdorf, von dem ich spreche, bietet auch jenseits von Ski und Rodel für Familien im Sommer und im Winter und dann auch noch im Frühling und im Herbst so viel mehr. Unter anderem eine früher mal störungsfrei funktionierende Schienennetzverbindung nach München. Es gab mal eine Zeit und ich erinnere mich noch gut daran, da nahm man die BOB (die Bayerischen Oberlandbahn) zu der ausgehängten Uhrzeit und fuhr damit wohin man wollte. Jetzt heißt die Bayerische Oberlandbahn „Bayerische Regionalbahn“, das Kürzel ist BRB und klingt nach  einer Insel vor Kroatien. Und sie fährt auch nach den Zeiten, die aushängen, aber nicht immer. Manchmal fährt sie auch nicht. Wenn man aber in einer fahrenden Bayerischen Regionalbahn oder auch in irgendeinem fahrenden Fernzug sitzt und nach München fährt, dann sieht man sie: Die Donnersbergerbrücke.

Besungen von Willy Astor, der auf sie dichtet:

Donnersberger Brück’n – Du greislig krummer Hund.
Du Golden Gate für Arme, Du bist ned schee, na und?
Donnersberger Brück’n – Du machst Di ganz schee breit.
Du dreckat’s G’stell aus Stahlbeton, Du überbrückst die Zeit.

Die Donnersbergerbrücke. Benannt nach Joachim von Donnersberg, einem Münchner Patrizier und  Freiherrn mit Besitztümern in den Hofmarken Igling und Erpfting. Im Ernst, die Hofmarken heißen Igling und Erpfting. Das kannst Du Dir nicht ausdenken. Wenn ich lautmalerisch etwas besonders Bayrisches darstellen wollte, ich würde „Igling und Erpfting“ dazu sagen. Aber ich hätte dabei das ungute Gefühl, es mit den Klischees ein bissel übertrieben zu haben. Zum Bayerischen Idiom und meiner Haltung dazu – später mehr. Jedenfalls war dieser Joachim von Donnersberg der Namensgeber der Brücke. Igling bildet heute zusammen mit Hurlach (noch so eine hübsche Lautmalerei) und Obermeitingen die Verwaltungsgemeinschaft Igling. Erpfting ist ein Stadtteil von Landsberg am Lech.

Weiter geht es im Ringelreihen atemberaubender Informationen rund um die Donnersbergerbrücke: Die Arbeiten an den Spannbetonträgern des Neubaus mussten vor allem nachts stattfinden. Warum? Weil dann die Oberleitungen des Münchner Hauptbahnhofs abgestellt werden konnten. Ver-rückt, oder? Eine ungeheure Aufgabe, jedenfalls aus Laiensicht. Man befasst sich ja viel zu wenig mit der Bauhistorie moderner Verkehrsanlagen. Wer das ändern möchte, dem sei das Standardwerk von Klaus-Dieter Korhammer, Armin Franzke und Ernst Rudolph ans Herz gelegt: „Drehscheibe des Südens. Eisenbahnknoten München“ erschienen im Hestra-Verlag, Darmstadt 1991. Da findet man unter anderem die vollständige Historie der Donnersbergerbrücke: Von ihren Anfängen 1874 als eiserner Steg für Arbeiter der Centralwerkstätte München bis zum Neubau ab 1969. Dieser Neubau wurde 1972 rechtzeitig zu den Olympischen Spielen in München fertiggestellt. Wir konstatieren,  dass die Donnersbergerbrücke auch schon über 50 ist. Sie „überbrückt die Zeit“.

Voran in der Textanalyse:

Donnersberger Brück’n – pfeifst aus’m letzten Loch.
Du Golden Gate für Arme, Du bist ned schee & doch:
Donnersberger Brück’n – I fahr auf Dir ab.
Debakel im Berufsverkehr, Stop & Go & Stop.

Mit der ersten Zeile „pfeifst aus´m letzten Loch“ greift der Satiriker Astor den fortwährenden Sanierungsbedarf des in die Jahre gekommenen Bauwerks auf. Sein Vergleich „Golden Gate für Arme“ geht aber meines Erachtens fehl. Handelt es sich bei der Donnersbergerbrücke doch um die meist befahrene Brücke Europas. Bei der Verkehrslast muss sich die Hängebrücke an der Bucht von San Francisco mal schön hinten anstellen: Von den 120.000 Fahrzeugen, die täglich über die Golden Gate fahren, träumen die Münchner Anwohner:innen – auf der Donnersbergerbrücke sind es mehr als 160.000 Fahrzeuge pro Tag.

Oder wie die Süddeutsche schreibt: „Für Fußgänger der ungemütlichste Ort in München.“ Wer es trotzdem wagt, die Brücke zu Fuß zu überqueren, nimmt unvergessliche Bilder mit. Mir war dieses Erlebnis im Rahmen einer Solo-Expedition nach einem Besuch der Theresienwiese 2019 möglich.  Es ist damals eine Fülle an großformatigen Panoramafotos entstanden. Mit verschiedenen Techniken hochauflösend angefertigte Bewegtbildaufnahmen und ausdrucksstarke Einzelaufnahmen. Ein Feuerwerk dokumentarischer Impressionen. Vielleicht sind es bei objektiver Betrachtung aber auch nur ein paar verwackelte Handy-Bilder und Filme, befeuert von einer ungemein großen Sympathie für München und einer oder zwei Wiesn-Maß. Bei den anstehenden Lese- und Vortragsreisen wird es jedenfalls eine Neuauflage der Multimedia-Show „Die Brücke“ geben.

Das Auseinanderfallen von Eigenwahrnehmung und Tatsachen, zweite Episode: Falsch gehörte Texte in der Musik, die durch den Verhörer dann einen anderen Sinn ergeben, nennt man „Mondegreens“. Wusste ich nicht, dass die so heißen. Es gib etliche Websites und ganze Buchreihen in allen möglichen Sprachen dazu. Manche dieser Mondegreens sind sehr lustig, andere ein bisschen gewollt. Meistens hängen die Verhörer damit zusammen, dass die Texte in einer anderen Sprache verfasst sind. In der eigenen Muttersprache unterlaufen einem solch Verhörer eher selten und dass dann der ganze Text einen anderen Sinn ergibt – passiert ja so nicht. Dachte ich. Bisher. Jetzt kann ich der langen Liste von Verhörern  meinen eigenen, ganz persönlichen  hinzufügen. Dieser fatale Verhörer ist eine Mischung aus einer gewissen Hybris – dem Meinen, etwas verstanden zu haben – und einem Zuviel an Fantasie. Hier kommt er: Bis zur Befassung mit dem Text von „Donnersberger Brück’n“ für diesen Podcast hatte ich am Ende des Refrains statt „Debakel“ immer „Die Packl im Berufsverkehr“ gehört. „Die Packl“, damit meint der bayerische Künstler die Mitmenschen, die ihr Paket, also „Packl“ zu tragen haben und sich damit im Leben herumschlagen müssen. Ich hatte mir angemaßt, das Bayerische so weit zu verstehen, dass ich solche sprachlichen Codes entschlüsseln kann. Dabei ist es eine Fremdsprache. Keineswegs ist „Packl“ als Synonym für das zu tragende Paket und Bezeichnung für eine ganze Gruppe von Menschen einer dieser  Bavarismen.  Diese freundlichen und nie böse gemeinten Beleidigungen im Bayrischen, die man oft im Bauerntheater für Touristen hört, aber eben nicht ganz versteht. Sowas wie „Zipfeklatscha“ oder „Bierdimpfe“. Eben „die Packl“. Von der  erhöhten Position des Betrachters von der Donnersbergerbrücke aus betrachtet. Nichts davon stimmt und ich bleibe demütig zurück. Und finde es dabei ein bisschen schade, dass es hier nur um das „Debakel“ geht und dass die heutigen Münchner Verkehrsverhältnisse damit nur unzureichend umschrieben sind.

Zum Schluss:

Donnersberger Brück’n – I woaß ned, irgendwie
hob I vui Sympathie fuer Di. I glaub, I steh auf Dir.
Donnersberger Brück’n – I vergiss Di nie
und manchmoi spuit der Wind die Donnersberger Melodie.

Nach dieser „Ode an die Brücke“ – hier vorgetragen in einer unzulänglichen Imitation des Bayrischen –  setzt ein wunderschönes Gitarren-Outro ein, gespielt von Willy Astor höchstselbst. Astor ist nicht nur ein begnadeter Gitarrist und origineller Wortspieler, sondern auch noch ein vielseitiger Komponist. Seinen „Kindischen Ozean“ und die Fortsetzung „Der Zoo ist kein logischer Garten“ kennen hoffentlich zumindest alle Eltern. Und dann gibt es da ja noch dieses kleine Liedchen, dass Willy Astor für den örtlichen Sportverein komponiert hat. Der Song wird bei den Spielen im eigenen Stadion gern von ein paar versprengten Fans angestimmt. Das klingt zwar nicht schön, aber es ist mitreißend und ich selbst habe mich schon dabei ertappt, wie ich ein wenig mitgewippt habe. Die sogenannte „Hymne“ hat eine sehr schöne Melodie. Textlich finde ich sie nicht ganz so gelungen. Auch, weil nirgendwo erklärt wird, wieso ausgerechnet dieser Sportverein der „Stern des Südens“ sein soll. Ich mag deshalb und aus vielen anderen Gründen die instrumentale Variante deutlich lieber. Wie Willy Astor den Song geschrieben hat und wie er inzwischen dazu steht, hat er in einem Interview in der Süddeutschen erklärt. Zur Uraufführung sagte er  damals – ich zitiere: „Nach der Live-Premiere der neuen Hymne vor der Südkurve im Olympiastadion gewannen die Bayern übrigens 3:1 gegen den MSV Duisburg. Am Ende der Saison wurden sie Deutscher Meister. In der Spielzeit davor, als die Fans noch „Forever Number One“ grölten, hieß der Erstplatzierte 1. FC Kaiserslautern.“ Zitatende. Was will man mehr?

Weltweit gibt es nur eine Hymne im Fußball. Wer es nur aus der Kurve und aus dem Mund von zigtausend Fußballfans kennt, hier ist das Original und meine Unbedingte Hörempfehlung für heute –  „You´ll never walk alone“ von Gerry and the Pacemakers. Bis zum nächsten Mal!

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