Woche 6: The Royal Scots Dragoon Guards, Highland Cathedral

Wer war Achim Höppner? Wird Schottland jemals eine Nationalhymne haben? Was sind die Highland Games?

Diese drei Fragen hatten sich mir bis vor sehr kurzem noch nicht gestellt. Die Antworten darauf – so es sie denn gibt – sind nicht weltbewegend. Noch nicht einmal die Fragen selbst sind wesentlich für das Entschlüsseln der Vergangenheit, das Verständnis der Gegenwart oder den Ausblick auf die Zukunft. Aber es sind wichtige Bausteine für Geschichten rund um nicht nur einen, sondern heute um gleich zwei Songs. Also ganz essentiell für eine weitere Woche in den 52 weeks of music.

Wer war Achim Höppner? Joachim „Achim“ Höppner war Schauspieler, Rundfunk- und Synchronsprecher. Die ZDF-Sehenden unter den Hörenden dieses Podcasts kennen ihn als Sprecher der Fälle aus „Aktenzeichen XY“. Den Tolkien- und Peter Jackson-Fans ist er als deutsche Stimme von Gandalf aus der „Herr der Ringe“-Trilogie bekannt. Einen Nachruf auf Höppner versah eine Branchenpublikation deshalb mit der Titelzeile „Der Gandalf aus Germering„. [Germering liegt vor den Toren Münchens, von der Donnersbergerbrücke bis nach Germering ist es etwa eine Viertelstunde mit dem Auto.] Die Freund:innen von Klassik Radio schätzen Achim Höppner – unter seinem Pseudonym Friedrich Epenstein – als Sprecher der „Wahren Geschichte“. „Die Wahre Geschichte“ ist eine beliebte Reihe im Hörfunk, es gibt aber auch Bücher dazu, die im Klassik Radio Shop so beworben werden: „Geheimnisse aus dem Leben bekannter Persönlichkeiten, Hintergründe von gebräuchlichen Begriffen, die wahre Perspektive von Ereignissen der Weltgeschichte – sie alle üben eine geheimnisvolle Faszination auf uns aus. Erfahren Sie, was wirklich passiert ist und sich wahrhaftig dahinter verbirgt.“ Eine dieser „wahren Geschichten“ will ich heute erzählen.

Über den blinden schottischen Dichter und fahrenden Sänger Blind Harry ist wenig bekannt. Es existiert eine historisch verbürgte Rechnung über den Auftritt von Blind Harry mit zwei Harfenisten aus dem Januar 1492. Die Hofakten von Jakob dem Vierten verzeichnen ihn als „Empfänger von Neujahrsgeschenken“. Was aus dem Werk von Blind Harry die Jahrhunderte überdauerte, ist sein „romantisierend-biographisches“ Poem über den schottischen Freiheitskämpfer William Wallace, „The Wallace“ in 11 Büchern und rund 11.800 Verszeilen. Es ist in einer Handschrift von 1488 in der Advocates Library in Edinburgh erhalten.

In Schottland wird William Wallace als einer der Anführer des Widerstandes gegen Edward Longshanks von England als Volksheld und Märtyrer verehrt. Bei der Schlacht von Stirling Bridge 1297 siegte die von ihm geführte schottische Armee über die englischen Truppen und errang eine wichtigen Sieg für das Königreich Schottland und den späteren König Robert The Bruce. In Erinnerung an den Sieg wurde 1869 bei Stirling das Wallace Memorial errichtet und 1995 der Film „Braveheart“ gedreht. Das Drehbuch greift in wesentlichen Teilen auf das historisch nicht ganz exakte Poem von Blind Harry zurück und macht es noch ein bisschen falscher. Einen Oscar für den Besten Film gab es trotzdem dafür.

Zwischen 1869 und 1995, in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, nahm die schottische Folkband The Corries die Historie rund um Robert The Bruce und den schottischen Unabhängigkeitskampf auf. Aus den Überlieferungen, darunter auch das Poem von Blind Harry, komponierten sie einen Song. Dieser Song wird seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei besonderen Anlässen und sportlichen Großereignissen, an denen ein schottisches Team teilnimmt, immer wieder als „inoffizielle“ Hymne Schottlands gespielt. Bei Olympischen Spielen, den Commonwealth Games und Nations Championships im Rugby. Die BBC stellte 2011 die Frage „Wird Schottland jemals eine Nationalhymne haben?“ und veröffentlichte eine Umfrage des Royal Scottish National Orchestra. In dieser Umfrage belegte der Song der Corries mit weitem Abstand Platz 1 und verwies beispielsweise „Scotland the Brave“ auf Rang 2. Der BBC-Beitrag schließt mit den Worten „Die Debatte geht weiter“. Und nun kennt Ihr die „wahre Geschichte“ zu – „Flower of Scotland„.

In dieser Folge von 52 weeks of music geht es aber gar nicht um „Flower of Scotland“. Der Song, um den es heute geht, belegte in der Umfrage des Royal Scottish National Orchestra als mögliche schottische Nationalhymne Platz 3. Wie „Flower of Scotland“ wird die Melodie dieser Folge auch zu bedeutenden Anlässen gespielt. Etwa als die britische Flagge am Government House auf dem Government Hill in Hong Kong eingeholt und die Staatshoheit über die bisherige Kronkolonie an China übergeben wurde. Die schottischen Zeremonien in dem britischen Erfolgsfilm „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ wurden von ihren Klängen untermalt. Madonna heiratete im Dezember 2000 Guy Ritche in Schottland und ließ sich davon begleiten. Und hier kommt die wahre Geschichte:

Als Michael Korb 1974 nach Berlin kam, erlernte er das Dudelsackspiel bei einem „Pipe Major“ eines schottischen Bataillons. Als die Schotten gingen, ging auch Michael – nach Edinburgh. Seine Zeit in Schottland war erfüllt vom Dudelsackspielen, tagsüber in der Gartenlaube seines Lehrers und abends im Wald. Nach einer wenig bemerkten Single mit dem Titel „Dancing Queen Of Aberdeen“ begann Michael Korb, mit dem Arrangeur, Produzenten und Komponisten Ulrich Roever zusammenzuarbeiten. Und dann kamen die Highland Games. Die Highland Games waren ursprünglich Bestandteil der Treffen schottischer Clans in den Highlands, mittlerweile werden aber weltweit Highland Games ausgetragen. Sportlich spielen Baumstämme, schwere Steine und Heusäcke eine große Rolle, das Drumherum wird von traditioneller Musik und da insbesondere dem Dudelsackspiel begleitet. Ein Szenario wie gemalt für Michael Korb und Ulrich Roever. Sie wurden mit der Komposition einer Erkennungsmelodie für die deutschen Highland Games 1982 beauftragt.

Das Musikstück wurde noch im selben Jahr produziert, arrangiert und als Single-Schallplatte herausgebracht. Michael Korb spielte die Urfassung selbst auf dem Dudelsack ein. Seit dem Release der Single wurde das Stück inzwischen fast tausend Mal von anderen Künstler:innen, Dudelsackgruppen, Marching Bands und Kapellen auf der ganzen Welt interpretiert. Mittlerweile gehört die Komposition nicht nur zu den bekanntesten Dudelsack-Melodien der Welt und tauchte mehrfach im Finale des berühmten Royal Edinburgh Military Tattoo ebenso auf wie in Grammy-nominierten und mehrfach ausgezeichnete Platten-Aufnahmen, unter anderem „Album des Jahres“ in Großbritannien. Darüber hinaus wurde sie 2016 anlässlich des Deutschen Evangelischen Posaunentags in Dresden auch zum populärsten Stück bei den deutschen Posaunenchören gewählt. Es klingt wie ein Märchen, aber es ist – die „wahre Geschichte“ von „Highland Cathedral„. Hier sind die Royal Scots Dragoon Guard mit ihrer Fassung.

Der Dudelsack an sich ist ein seltsames Instrument und das schon ziemlich lange. Als möglicherweise älteste Darstellung eines Dudelsacks wird ein hethitisches Relief aus der heutigen Türkei diskutiert, datiert auf etwa 1.200 Jahre vor Christus. Die Sackpfeife, wie der Dudelsack auch genannt wird, ist damit fast so alt wie – richtig – die Gänsegeierflöte vom Hohlefels. Auch Kaiser Nero soll ein Sackpfeifer gewesen sein, dafür ist er ja weniger bekannt. Und trotzdem, trotz der langen Historie werden reine Dudelsackmelodien wie „Highland Cathedral“ seltener gehört als wenn man da einen Text darüber legt. Wahrscheinlich deswegen gibt es auch etliche Textversionen von dem Stück. Und eigentlich geht es heute um die schönste davon.

Es ist die Fassung der Bläck Fööss über ihre Stadt Köln, die man in einer Orgelfassung im Dom, im Hänneschen Theater und auch im Karneval hört. In seinem sehenswerten Film zu 200 Jahren Kölner Karneval stellt der von mir sehr geschätzte Produzent und Regisseur Lutz Heineking jr. das Lied an das Ende seines Films, als Hommage und Ausblick. 2003 veröffentlichten die Bläck Fööss ihre Fassung, mit einem ganz wunderbaren Text über die Stadt, auf die wir alle hier stehen, die es uns als Kindern schon angetan hat. Mit Ärger in der Bude, aber roten Nägeln, mit grauem Haar, aber buntem Kleid. Mit nix was am Hut, aber so gut gelaunt, dass es fast schon nervt. Die Stadt am Rhein mit ihrem prächtigen Dom, ewig schön. Und wenn Du einmal zu Karneval in der Lachenden Kölnarena gestanden hast und all die vor Ergriffenheit weinenden Menschen um Dich rum gesehen hast, dann bekommst Du eine Ahnung davon, was dieses Lied bedeuten kann. Für diese – und das sagt ein anderer Kölner, Zitat „manchmal furchtbar selbstbesoffene“ Stadt. Aber wenn dann die Dudelsackpfeifer zum Solo auf die Bühne kommen, dann findet man das nicht so schlimm und kann sich mit allen Kölner:innen freuen und ein bisschen mitweinen. Hier ist „Du bes die Stadt„.

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